Montag, 8. Januar 2018

Neujahrswort Martin Münch zum Jahr 2018

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Mitstreiter, Gegner und ehemalige Weggefährten, liebe Besucher meiner Konzerte, Freunde und Freunde meiner Musik,

mit dem neuen Jahr 2018 verbinde ich persönlich als Künstler und Mensch mehrere Hoffnungen:

  1. Zuallerförderst, dass das Jahr 2018 friedlich verlaufen möge, ohne dass die sich mehrenden „Unkenrufe" zu einem Finanzcrash, zu Blitz- oder Bürgerkriegen auf deutschem oder europäischem Boden sich bewahrheiten.
  2. Dass das Zauberwort der „kulturellen Sensibilität" dort an- und eingesetzt werden möge, wo es hingehört: in den Bereich der Kultur. Es jetzt an einem gegenstandsfernen Bereich in völlig entfremdeter, überstrapazierender Weise anzuwenden (etwa als Tolerieren religiös begründeter Menschenrechtsverletzungen) grenzt angesichts des schon vor Jahrzehnten (mit sich mehrender Wahrscheinlichkeit) organisiert eingeleiteten Todeskampfes der klassischen Musik gegen die polternde, ubiquitäre Sensibilitäts-Verhöhnung heutiger akustischer Gewaltbeschallung auf der einen, und gegen einen hohlen Starkult auf der anderen (klassisch-elitären) Seite, an eine schwer erträgliche Generalmobilmachung nicht nur gegen den guten Geschmack, sondern gegen all das, was den Wesenskern einer - nämlich unserer eigenen - gewachsenen und stets weiterentwickelten kulturellen Identität ausmacht bzw. ausmachen sollte, und vom dem uns zu entfremden bestimmten Interessengruppen ein höchst virulentes und nunmehr in die Schlussphase ihrer verhängnisvollen „Erfolgsgeschichte" eingemündetes Anliegen ist.
  3. Dass die Musik, die unsere grossartige europäische Tradition repräsentiert oder, insbesondere in Form der „Anderen Moderne" wie auch meiner eigenen Werke, konstruktiv weiterführt, eine weitere, neue, lebendige Chance bekommen möge, nicht nur zum Sprechen gebracht zu werden, sondern auch ein so aufmerksames Gehör zu finden, dass es ihr erlaubt wird, im Seelenleben des durch sie Beschenkten einen Platz einzunehmen, der für sein Wahrnehmen, die Erweiterung seines Erlebnishorizontes, ja möglicherweise die Schwerpunktsetzung in seinem ganzen Leben tatsächlich einen Unterschied machen kann. Ich selbst war nach dem Hören von Ravel La Valse (elfjährig), Ravel Daphnis et Chloe (dreizehnjährig) und Skrjabin 3. Symphonie (sechzehnjährig), um nur drei äußerst gewichtige Beispiele zu nennen, nicht mehr der gleiche Mensch wie vorher.
  4. Dass Deutschland den Weg zurück zu einer grossen, freiheitlich-rechtsstaatlichen Kulturnation (entgegen des Augenscheins und aller derzeitigen Wahrscheinlichkeiten) doch noch wiederfinden möge, den es zugunsten einer mit - mehrfach höchstrichterlich bescheinigten - Gesetzes-, ja gar Grundrechtsverstößen bezahlten, moralisierenden Pseudo-Humanität verlassen hat, obwohl ihn wiedereinzuschlagen nach einer bedrohlichen Annäherung an den „Point of no return" inzwischen zu einem nahezu unkalkulierbaren, existentiellen Risiko geworden ist.
  5. Dass die europäische Musik und Kultur als Ganze, anstatt sich als Untergangs-Beschleuniger zu betätigen, sich wieder auf ihre vornehmste Aufgabe besinnen möge: Nicht den Hofsänger der Machthabenden spielen, sondern zu gleichermassen qualitätsvollen wie genussvollen und erkenntnisreichen Erweiterungen des Wahrnehmungs-, Interpretations, Kritikfähigkeits-, Bewusstheits- und Erlebnishorizontes der Bürger beitragen und, wo nötig, Sand ins Getriebe derer streuen, die mit unserer auf Individualität, Freiheit, Aufklärung, Säkularität, Abwehrrechten des Individuums gegen Staat und Religion und der persönlichen Weiterentwicklung basierenden Zivilisation und Kultur Schluss machen wollen.

Auf meiner Facebook-Seite https://www.facebook.com/martin.munchcomposer hatte ich vor kurzem den folgenden Kurzkommentar gepostet:
„Darf man als klassischer Musiker gegen den Strich gebürstete, gegen den Strom schwimmende, ja mitunter nachgerade "unbequeme" Meinungen vertreten, gar öffentlich bekunden? Diese Frage wurde von den meisten Kollegen, formulieren wir es so, eher zurückhaltend beantwortet. Eine seltene Ausnahme machte vor einigen Jahren der polnische Pianist K. Zimmerman
https://www.theguardian.com/music/2009/apr/28/krystian-zimerman-missile-defence-poland
Hier geht es nicht darum, mit einer bestimmten Haltung übereinzustimmen oder nicht übereinzustimmen, sondern um die ganz grundsätzliche Frage, ob Musik und Politik im öffentlichen künstlerischen Wirken getrennt bleiben sollten, oder ob es eine Ehrenpflicht eines Musikers, der von sich beansprucht, etwas zu sagen haben, ist, in zentralen oder gar schicksalhaften Fragen Position zu beziehen um tatsächlich etwas zu sagen?"

Mit alledem möchte ich zum Ausdruck bringen, dass es mir hier im südamerikanischen Exil nicht darum geht, dass Sie meine Auffassungen oder meine Weltsicht 1:1 teilen, sondern darum, dass wesentliche Komponenten, die für die aufgeklärt westlich-freiheitliche Gesellschaft konstitutiv sind, auch weiterhin als gegeben vorausgesetzt werden können, wie etwa

  • Verwirklichung des Rechts,
  • Argumentation und Diskurs statt Verleumdung und Mundtotmachung,
  • Leben aus den eigenen zivilisatorisch-kulturellen Wurzeln (statt suizidal-tolerantem Hofieren eines steinzeitreligiösen Archaismus).

Wenn wir uns auf diese drei Mindest-Grundlagen einer funktionierenden Zivilbeziehung auch weiterhin einigen können, d.h. wenn Sie mit mir darüber übereinstimmen, dass das geltende Recht nicht dazu da ist, relativiert und eingeschränkt, sondern vielmehr verwirklicht und durchgesetzt zu werden, dass es ein vornehmes Zeichen unserer Kultur ist, Andersdenkende (insbesondere inzwischen aus unserem eigenen Kulturkreis) nicht zu diffamieren sondern sich mit ihnen inhaltlich auseinanderzusetzen, und dass die langfristige Desensibilisierung einer ganzen Gesellschaft gegenüber archaischen Praktiken wie Steinigung, Einkassieren der Frauengleichberechtigung, Polygamie, „Ehren"-Morden u.v.m. samt Aufgabe der eigenen Kultur keine gute Idee ist, können wir auch gerne dann weiter im Gespräch oder im Geschäft bleiben, wenn Sie jenseits dieser zentralen und unverhandelbaren Grundlagen in Detailfragen ganz andere Auffassungen vertreten.

Glücklicherweise darf ich in den sozialen Netzwerken erleben, dass die Anzahl derjenigen Kollegen steigt, die jenseits des rein (unpolitischen) künstlerischen Gefallen-Wollens und Qualität-Ablieferns sich auszusprechen beginnen gegen den drohenden Ausverkauf zentraler Grundpfeiler unserer in Gefahr geratenen Hochkultur, und denen die von Jahr zu Jahr realistischer erscheinende Vision, dass die klassische Musik in dreissig Jahren möglicherweise nur in China, Korea und Japan weiterleben könnte, ein mahnendes Fanal darstellt, das zu Gegenmassnahmen, ja mindestens jedoch zu einer Gegenpositionierung einlädt.

Mir ist bei alledem völlig bewusst, dass jede Künstlerkollegin und jeder Künstlerkollege eine ganz eigene künstlerisch-weltanschauliche Agenda verfolgt. Die Zukunft der deutschen und europäischen Kultur ist mir persönlich jedoch in keiner Weise gleichgültig und so möchte ich meinen wenigstens bescheidenen Beitrag dazu leisten, zu ihrem vitalen und sinnlich erfahrbaren Weiterleben in einem freiheitlichen Europa von miteinander freundschaftlich verbundenen Nationen mit meiner Musik und weiteren Ressourcen mein Scherflein beizusteuern. Ich würde mich sehr freuen, wenn Sie diesen Beitrag auch weiterhin mindestens kritisch-konstruktiv begleiten, möglicherweise indes sogar würdigen und unterstützen würden.

Mit besten musikalischen Grüßen vom Rio de la Plata

Martin Münch

P.S.


FREIHEIT, SCHÖNER GÖTTERFUNKEN“
(L. Bernstein, Berlin 1989)

GROSSE MUSIK ATMET DIE LUFT DER FREIHEIT!
(M. Münch, Am Rio de la Plata 2018)

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