Sonntag, 3. September 2017

Martin Münch: Valses sentimentales op. 48 - Text

Der Komponist Martin Münch schreibt über sein Werk: „Die Valses sentimentales op. 48 sind im Jahr 2009 entstanden. Ursprünglich biographisch initiiert erwuchs in mir im Laufe des Kompositionsprozesses recht schnell ein ganzer Katalog an heterogenen musikalischen Bedürfnissen und Intentionen. Dabei hat der Walzer als Gattung für mich schon immer eine herausragende Rolle gespielt. Angefangen vom „Walzer, auf den man nicht tanzen kann“ (noch opus null) über die von mir auch heute noch immer als wunderschön und gelungen empfundene Valse lente aus meinem 1. Klavierkonzert op. 3 und viele einzelne Walzer in zahlreichen meiner Suiten und Zyklen hatte ich den Wunsch, endlich einmal einen gültigen und meine musikalischen Anliegen zusammenfassenden Walzer-Zyklus zu schaffen, der sich auf der Höhe meines aktuellen Stils befindet und dennoch gleichzeitig von der Aufführungsschwierigkeit her im gemässigten und zugänglichen Bereich verbleibt

Der Walzer schlechthin für mich ist „La Valse“ von Ravel, der Walzer, nach dem man eigentlich keinen anderen Walzer mehr schreiben kann. Das sah ich jahrzehntelang auch so. Alle seitdem komponierten Walzer erschienen mir wechselweise als Lüge oder als banal-belanglose Spielereien, egal ob in der unterhaltenden oder ernsten Musik. Bei der Komposition musste ich insofern auch an Beethovens als unübertrefflich empfundene Symphonien denken, die die Komponisten der Romantik vor die Aufgabe stellten, sich entweder weg zu ducken (Mendelssohn, Schumann), ihn zu überhöhen (Bruckner), ihn unterwürfig weiterzuführen (Brahms), oder etwas ganz anderes zu machen (Liszt, Tschaikowsky). Jeder meiner acht Walzer mag neben vielem Anderem auch eine jeweils andere Art der Reaktion auf Ravels Jahrhundertwerk darstellen, wobei ich nicht nur im Titel eher auf seine 1911 entstandenen „Valses nobles et sentimentales“ Bezug nehme und mich vor diesen musikalisch verbeuge. Analog zu Schubert entschied ich mich für einen der beiden Titel „Valses sentimentales“, und wollte es dabei ursprünglich auch belassen - bis ich mich 2015 dann doch entschloss auch einen Zyklus „Valses nobles“ zu komponieren.

Stilistische und ausdrucksartige Vielfalt, die dennoch nicht nur durch meine Persönlichkeit garantiert und gleichzeitig zusammengehalten wird, sondern auch durch inner-musikalische Gesetzmäßigkeiten, war mir ein besonderes Anliegen. Die Walzer Nr. 2, 4 und 8 können als tonal bezeichnet werden, 1 und 3 als erweitert tonal, 5, 6 und 7 als modal. Der erste, von Freunden auch „Bleiwalzer“ genannt, definiert mit seiner kompromisslosen Intensität gleich ein Eingangstableau, an dem man nicht vorbeikommt, man hat sich ihm zu stellen. Beim Übergang zum zweiten Walzer liess ich mich vom wunderbaren Stimmungswechsel inspirieren, der Zemlinsky in seiner „Lyrischen Symphonie“ beim Übergang des schwerlastenden ersten Satzes „Ich bin ruhelos“ zum zweiten, weiblich-launischen „Mutter, der junge Prinz“  gelungen ist, und ich bin mit dem Ergebnis sehr glücklich. Der dritte Walzer widmet sich dem in Musik geronnenen Anliegen des Fortbestandes der europäischen Freiheiten gegen ihre aktuellen Bedrohungen und strahlt daher eine kraftvoll, trotzig-kompromisslose Atmosphäre aus.

Der vierte langsame Walzer dient der Erholung und dem entspannten Atemnehmen, während der fünfte ebenfalls langsame Walzer mit einer bezaubernd-magischen Stimmung aufwartet, in der im Mittelteil die Tonalität auf den schärferen symmetrischen Modus zweier Halbtöne und eines Ganztons zurückgreift, dabei aber in einer sanft-weichen, zauberhaften Klanglichkeit verbleibt. Im sechsten Walzer verbindet sich die Gattung des Walzers mit einem Scherzo und transportiert eine schier unbändige Energie, die im Mittelteil versöhnlich auf russisch-romantisch inspirierte Stimmungen zurückgeht, bevor sie in einer verkürzten Reprise mit explosiver Entladung endet. Der siebente Walzer wurde von Zuhörern der zahlreichen Aufführungen schon (klanglich nicht ganz unzutreffend) als „Musik zu einem Hitchcock-Film“ apostrophiert, während der abschliessende achte Walzer den Zyklus zu einem tonal-wirkungsvollen, unvermittelten Ende führt, der eher als Schicksalsschlag denn als notwendiger und abrundender Abschluss erlebt werden mag.“

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